Jubiläum: ein halbes Jahrhundert Studienkreis
Seit 50 Jahren gibt es den Studienkreis. Ebenso lange gibt es in Deutschland Nachhilfeschulen, die Nachfrage ist höher denn je. Das liegt auch an gesellschaftlichen Entwicklungen, die das Bildungssystem stark verändert haben.
Als Jürgen Hüholdt 1974 begann, kleine Gruppen von Kindern und Jugendlichen in Witten und Herne zu unterrichten, ahnte der 18-Jährige vermutlich nicht, dass institutionelle Nachhilfe 50 Jahre später überall in Deutschland verfügbar sein würde. Aber mit seinen Kursen hatte er nicht nur den Grundstein für den Studienkreis gelegt. Er hatte auch die ersten Schritte gemacht, um Nachhilfeinstitute als neue Größe im Bildungssystem zu etablieren.
Nachhilfe war vorher Glückssache
Natürlich gab es auch vorher schon Nachhilfeunterricht, aber sie war individuell arrangiert. Die nette Studentin aus dem dritten Stock etwa kam einmal in der Woche vorbei, um ihrem Nachhilfeschüler zu erklären, was er im Mathematikunterricht nicht verstanden hatte. Auch heute noch gibt es solche Nachhilfesituationen, in manchen Fällen sind sie erfolgreich, in manchen weniger. Aber wer keine nette und mathematisch gebildete Studentin kennt, kann einfach die nächstgelegene Nachhilfeschule aufsuchen und dort Stunden für sein Kind buchen. Der Vorteil: eine hohe Fachkompetenz, pädagogisches Geschick und geeignetes Unterrichtsmaterial sind nicht Glückssache, sondern ein fester Bestandteil des Deals.
Warum Nachhilfe immer beliebter wird
Seit Hüholdts ersten Kursen hat sich viel getan. 1978 zählte der Studienkreis 5.500 geförderte Schülerinnen und Schüler in Nordrhein-Westfalen, heute sind es deutschlandweit 1,5 Millionen. Dass Nachhilfe so beliebt ist, hat auch damit zu tun, dass sich im Bildungssystem und gesellschaftlich viel verändert hat in den vergangenen 50 Jahren.
Vor allem drei Entwicklungen erklären das gestiegene Interesse an der Förderung:
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Eine gute Bildung ist heute wichtiger denn je
Viele Eltern wollen, dass ihre Kinder einen möglichst hohen Schulabschluss erreichen, aber das ist nicht immer ohne Unterstützung zu schaffen. So sieht es Eiko Jürgens, Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Bielefeld. Jürgens hat viel zu Nachhilfe geforscht und erklärt: „Ein hoher Bildungsabschluss ist eine gute Voraussetzung, um im Beruf erfolgreich zu sein. Außerdem gilt mangelnde Bildung als Problem für die Gesellschaft. Dementsprechend müssten immer mehr Menschen eine höhere Bildung haben, das ist eine Forderung aus der Elternschaft und der Gesellschaft gleichermaßen. Aber die Ausbildung der Lehrkräfte hat sich nicht an diese Forderung angepasst, die Bildungspläne sind nicht gut geeignet, um Integration bzw. Inklusion zu betreiben. Wer sich in diesem System nicht gut aufgehoben fühlt, findet in der Nachhilfe Unterstützung.“
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Lernerfolg ist eine Frage der Förderung
Pädagogisch hat sich in 50 Jahren viel getan. Damals galt es noch als eine Frage der Intelligenz (und der sozialen Herkunft, auch wenn das niemand so deutlich sagte), ob Kinder in der Schule erfolgreich sind. Heute wissen wir: Intelligenz ist zwar hilfreich. Aber noch dringender benötigen Kinder Förderung und Begleitung beim Lernen, um ihr Potenzial voll auszuschöpfen. Wir fragen also heute viel öfter: Was braucht dieses Kind, um seine Lernziele zu erreichen? Nachhilfe ist ein gutes Mittel, um solche individuelle Förderung anzubieten. Und weil die soziale Herkunft leider noch immer eine Rolle spielt, ist Nachhilfe heute auch über das staatliche Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) erhältlich – für Kinder, die Förderung benötigen, deren Eltern aber sehr wenig Geld haben.
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Digitale Technologien ebnen den Lernweg
Noch immer sitzen in vielen Nachhilfeschulen des Studienkreises Lehrkräfte und Jugendliche gemeinsam am Tisch und wiederholen Unterrichtsstoff. Ist aber der Weg zur Nachhilfeschule zu weit, die Zeit am Nachmittag zu knapp oder keine Lehrkraft für ein bestimmtes Schulfach vor Ort verfügbar, lässt sich die Nachhilfestunde auch problemlos online abhalten. Spätestens seit der Corona-Pandemie ist dieser niedrigschwellige Zugang zur Lernbegleitung in vielen Haushalten etabliert. Aber digitale Technologien tragen noch stärker zur Nachhilfe bei: Zum Beispiel gehört es im Studienkreis zum Standard, den Lernfortschritt digital zu messen und zu dokumentieren. Und manchmal sind digitale Unterrichtsformate auch besonders motivierend. So zum Beispiel die Virtual-Reality-Kurse, in denen die Schülerinnen und Schüler gemeinsam in einer englisch- oder spanischsprachigen Welt unterwegs sind und Aufgaben meistern.
Nachhilfe als Ergänzung zum Schulsystem etabliert
Nachhilfe kann leisten, was in der Schule mitunter schwierig ist: einzelne Schülerinnen und Schüler so zu fördern, dass sie in der Schule mitkommen, einen guten Schulabschluss erreichen, die Freude am Lernen wiederentdecken. Trotzdem wollten 2007 noch 70 Prozent der Eltern vermeiden, dass die Lehrkräfte in der Schule von den Nachhilfestunden ihres Kindes erfahren – das hatte Eiko Jürgens damals in einer Studie ermittelt. Eine interne Umfrage des Studienkreises im Mai 2024 unter 405 an Nachhilfe interessierten Eltern legt nahe, dass sich diese Auffassung deutlich gewandelt hat: 61 Prozent der befragten Mütter und Väter waren der Meinung, dass die Lehrkräfte in der Schule von der Nachhilfe erfahren sollten. Gleichzeitig ergab eine repräsentative Forsa-Umfrage unter 2.002 Eltern schulpflichtiger Kinder im Auftrag des Studienkreises, dass 53 Prozent professionelle Nachhilfe als wichtige Säule des Bildungssystems betrachten.
Noch überzeugter sind Eltern, deren Kinder selbst schon einmal Nachhilfeunterricht erhalten haben: Von ihnen sehen sogar 66 Prozent die Nachhilfe als feste Säule des deutschen Bildungssystems. Das war vor 50 Jahren sicher noch völlig undenkbar.