Wo Künstliche Intelligenz beim Lernen helfen kann – und wo nicht
ChatGPT hat zum ersten Mal der breiten Öffentlichkeit vor Augen geführt, was Künstliche Intelligenz leisten kann. Auch das Lernen könnte sich in Zukunft dadurch ändern. Trotzdem wird Lernen auch künftig nicht ohne zwischenmenschliche Kommunikation auskommen – davon ist Max Kade, Pädagogischer Leiter des Studienkreises, überzeugt.
Recherchieren, Texte gliedern, komplette Aufsätze schreiben: Das frei verfügbare KI-Sprachmodell ChatGPT des Unternehmens Open AI zeigt eindrücklich, wie viele typische schulische Aufgaben künstliche Intelligenz übernehmen kann – und wie täuschend echt und menschengemacht die Ergebnisse oft wirken. Zwar macht die KI immer wieder auch Fehler und mancher Text liest sich eher hölzern, aber kaum jemand zweifelt daran, dass ChatGPT & Co diese Kinderkrankheiten in wenigen Jahren hinter sich lassen werden. Was bedeutet das für das Lernen in der Zukunft?
Einerseits sind Lernen und Lehren zutiefst soziale Prozesse. Andererseits haben Lehrkräfte viele zeitraubende Aufgaben, die eine KI womöglich schneller erledigen könnte: Feedback geben, Fehler analysieren, passende Aufgaben zusammenstellen. Aktuell entwickelt der Studienkreis einen digitalen „Lerncheck“ für Mathematik, der genau hier unterstützen kann. „Wenn zum Beispiel ein Schüler in der neunten Klasse zu uns kommt, fragen wir damit das Wissen der achten Klasse ab. So finden wir heraus, welche Lücken es im Vorwissen gibt“, erzählt Max Kade, Pädagogischer Leiter des Studienkreises. „Daraus ergibt sich automatisch ein Fehlerbild und eine Liste mit Förderthemen. Das ist für die Lehrkräfte eine große Entlastung.“ Auch für Deutsch und Englisch sind solche Lernchecks in Vorbereitung.
Fehler analysieren mit Künstlicher Intelligenz
Je weiter sich Künstliche Intelligenz entwickelt, desto präziser lassen sich damit Fehler analysieren. So könnte eine KI zum Beispiel feststellen, ob jemand auf Englisch immer wieder Fehler mit einer bestimmten Zeitform macht – oder zum Beispiel eine Regel aus der deutschen Sprache anwendet, die auf Englisch aber nicht funktioniert. Das hilft, um zielgerichtet Förderung anzubieten. „Perspektivisch gehört das zu den Leistungen, die Künstliche Intelligenz besser und schneller kann als Menschen“, sagt Kade.
Aber auch wenn der Studienkreis in vielen Bereichen digitale Technologien nutze – etwa in der Online-Nachhilfe, durch Lernvideos und eine eigene App –, bleibe der Kern der Nachhilfe immer, dass eine richtige Person mit einer richtigen Person spreche. Dafür gibt es gleich mehrere Gründe. „Wenn sich gerade schwächere Schülerinnen und Schüler zum Beispiel ein Mathematik-Lernvideo ansehen, dann verstehen sie im besten Fall, was da vorgerechnet wird. Das auf andere Aufgaben zu übertragen, ist aber noch ein weiterer Lernschritt – das wird häufig unterschätzt“, erzählt Kade. „Wenn sie das gleiche Rechenverfahren mit anderen Zahlen anwenden sollen, kommen neue Fragen auf, die im Video nicht beantwortet werden.“ Hinzu käme, dass ein Video nicht wahrnehmen könne, ob jemand bei einer Erklärung beispielsweise die Stirn runzele – eine gute Lehrkraft hingegen schon. „Sie kann darauf reagieren und sagen: ‚Ich merke schon, dass du da etwas nicht verstanden hast.‘“
Kühe zu melken lernt man nur mit echten Kühen
Trotz der offenkundigen Vorteile eines menschlichen Gegenübers rechnen Jugendliche damit, dass KI beim Lernen in den kommenden Jahren immer selbstverständlicher wird. Laut einer Studie des Online-Nachhilfeanbieters GoStudent glaubt ein Drittel der rund 2.700 in sechs europäischen Ländern befragten 14- bis 16-Jährigen, dass es 2050 nur noch virtuelle Klassenräume gibt. Ebenso viele rechnen mit Avataren als Lehrkräfte. Max Kade ist skeptischer, ob Lernen allein mithilfe von Avataren und Selbstlern-Content funktionieren kann – und nennt ein Beispiel: „Sie können in einem Buch lesen, wie man eine Kuh melkt. Sie können sich ein Video darüber ansehen, wie man eine Kuh melkt. Aber das alles wird sie nicht darauf vorbereiten, unter einer Kuh zu sitzen und an ihrem Euter zu ziehen. Mit anderen Worten: Die virtuelle Welt ist nur ein Abbild von Wirklichkeit, aber eben nicht die Wirklichkeit selbst.“
Englisch lernen in einer virtuellen Realität
In manchen Fällen allerdings eröffnen virtuelle Welten neue Übungsmöglichkeiten, die das richtige Leben nicht immer bietet. Der Studienkreis hat zum Beispiel gemeinsam mit GoStudent gerade einen Englischkurs mit VR-Brillen-Einsatz entwickelt (VR = Virtual Reality). Die jugendlichen Teilnehmer*innen sowie eine Lehrkraft werden dabei mithilfe einer speziellen Software gemeinsam in eine virtuelle Realität versetzt. Hier müssen die Jugendlichen bestimmte Aufgaben auf Englisch lösen, etwa auf einem Markt einkaufen oder auf einer Bühne eine Rede halten. „Unsere ersten Erfahrungen mit VR-Lernen sind sehr spannend. Die Lernerfolge sind gut und den Jugendlichen gefällt diese Art zu lernen als Alternative zum herkömmlichen Unterricht“, sagt Kade.
Lernen mit VR-Technik ist grundsätzlich deutlich effizienter als herkömmliches Lernen, denn die Jugendlichen verbinden das Gelernte aktiv mit ihren eigenen Erfahrungen, behalten es dadurch besser im Gedächtnis und können es einfacher abrufen. Der Lernerfolg stellt sich hierdurch bis zu viermal schneller ein. „Aber auch hier lassen wir sie nicht mit der Technologie allein, sondern begleiten alles eng mit einer qualifizierten und speziell für VR weitergebildeten Lehrkraft auf muttersprachlichem Niveau. Seine VR-Englischkurse für Schüler*innen ab Klasse 8 bis zum Abitur bietet der Studienkreis erstmals in den Sommerferien 2023 an.
Deshalb rät Kade zum hybriden Lernen, bei dem digitale Angebote das von einem Menschen vermittelte Lernen unterstützen. Beispielsweise können Schülerinnen und Schüler des Studienkreises schon jetzt die „Sofort-Nachhilfe“ im Livechat in Anspruch nehmen: Stoßen sie außerhalb ihrer Nachhilfestunden auf ein Problem, können sie online Kontakt mit einer auf das Schulfach spezialisierten Lehrkraft aufnehmen und ihre Frage besprechen. Kade hält es für denkbar, dass Künstliche Intelligenz irgendwann in der Lage ist, einen Teil dieser Fragen zu beantworten. „Aber Sie brauchen immer eine Rückfallebene, also eine menschliche Lehrkraft, die weiterhelfen kann, wenn es der KI nicht gelingt.“ Auch bei emotionalen Lernblockaden sind Lehrkräfte besser in der Lage, den Nöten der Lernenden angemessen zu begegnen.
Dass es diese menschliche Ebene irgendwann gar nicht mehr geben wird, hält Kade für unwahrscheinlich: „Wir haben zwei Millionen Jahre Evolution als soziale Gruppe hinter uns. Ich glaube nicht, dass wir das so schnell hinter uns lassen und Lernen nur noch technisch lösen. Zum Beispiel fühlt sich ein Lob von einer menschlichen Lehrkraft viel besser an als drei Sternchen von einer App.“
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