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Pubertät: Das Gehirn ist eine Großbaustelle

Streit, Schulfrust, Entfremdung: Familien fürchten die Pubertät. Doch sie ist wichtig, damit sich Eltern und Jugendliche voneinander lösen. Mit ein bisschen Übung können sie den Weg gemeinsam gehen, sagt Familientherapeutin Elisabeth Raffauf.

Elisabeth Raffauf im Interview zu Pubertät„Wenn es während der Pubertät keine Konflikte in der Familie gibt, ist irgendwas nicht in Ordnung.“ Nein, Sie haben das nicht falsch verstanden. Elisabeth Raffauf, Familientherapeutin und Erziehungsberaterin aus Köln, sagt diesen Satz immer und immer wieder. Die Zeit der Pubertät, für viele Eltern eine Art Albtraum, ist genau dafür da: für Streit, das Verschieben von Grenzen, die Entfremdung, die in erster Linie eine endgültige Abnabelung ist.

Die Peergroup ist wichtiger als die Note in Mathe, die Wirkung des Make-ups entscheidender als ein gutes Zeugnis. „Stellen Sie sich das Gehirn des Jugendlichen wie eine Großbaustelle vor. Das Gehirn entwickelt sich und zwar von hinten nach vorn vom Kleinhirn zum Stirnlappen. Dass da manche Verschaltung noch nicht funktioniert, ist doch eigentlich klar“, sagt Elisabeth Raffauf. Schlimmer noch: Während der Umbauphase übernimmt der Mandelkern die Aufgaben des Stirnlappens. Der Haken dabei: Der Stirnlappen ist für vernunftorientierte Entscheidungen zuständig, der Mandelkern für Emotionen. Unter anderem deshalb werden Jugendliche zu Gefahrensuchern.

Fünf in Englisch? Lass uns Eis essen gehen!

Die meisten Konflikte während der Pubertät drehen sich um die immer gleichen Themen: Lernen, Pflichten erfüllen und die ewige Lustlosigkeit der Jugendlichen. Belohnungen für gute Noten oder die Bestrafung etwa mit Tablet-Entzug oder Hausarrest bei Nichterfüllen der Pflichten hilft allerdings nicht. Die schlechte Zensur sei schon Strafe genug. „Jetzt ist Trost angesagt“, sagt die Psychologin entschieden und rät: „Freuen Sie sich mit den Jugendlichen über eine gute Note, das stärkt die Eigenmotivation. Und gehen Sie bei einer schlechten Note Eis oder Kuchen essen und reden Sie nicht über Schule.“

Sich Zeit nehmen, für einander da sein, handeln statt Gespräche erzwingen, signalisieren „Ich weiß, wie schlecht es Dir geht“ – das sei der bessere Weg. Meist kämen auf diese Art auch spontan und ungeplant die guten Gespräche zustande. Außerdem gibt es Hoffnung für leidgeprüfte Eltern: „Die meisten Jugendlichen kriegen spätestens in der elften Klasse doch den Dreh, die Lernmotivation nimmt wieder zu und das Zeugnis wird besser“, weiß Elisabeth Raffauf aus Erfahrung.

Häusliche Pflichten vermitteln Zugehörigkeit

Und die Lustlosigkeit, wenn es um häusliche Pflichten geht? Das Argument, die Freunde müssten zu Hause nichts tun, ziehe nicht. Aufgaben vermittelten ein Zugehörigkeitsgefühl. Auch hier gelte: gemeinsam ausloten, welche Aufgaben das sein können, konsequent, aber zugewandt bleiben.

Mutter tröstet Kind in der PubertätGrüne V’s und rote V‘s

Und dann kommt doch wieder eine Situation, in der Eltern die Sicherungen durchbrennen. Alkohol, Drogen, schlechte Zensuren, gebrochene Vereinbarungen – in solchen Momenten verfallen selbst die tolerantesten Mütter und Väter schon mal in antrainierte autoritäre Verhaltensweisen. Vorwürfe, Verhöre und Vorträge sind die Folge – die roten V’s, wie Elisabeth Raffauf dieses ungute Dreiergespann in ihrem aktuellen Buch (siehe Kasten) nennt. „Wer einen dauerhaften Machtkampf haben will, ist damit bestens ausgestattet“, sagt sie ironisch und plädiert stattdessen für die grünen V’s: Verstehen, Vertrauen, Vorbild sein.

Buch Die tun nichts, die liegen da und wachsen von Elisabeth RaffaufDas bedeutet allerdings nicht, Jugendliche in Watte zu packen. „Eltern müssen eine klare Haltung zeigen“, sagt die Expertin. Ihre Meinung vertreten, Halt geben, den Mut haben, sich unbeliebt zu machen und nicht in eine Schleife aus Respektlosigkeit hineinzugeraten. Was dabei hilft? Humor, Erinnern und Vertrauen. Ein lockerer Spruch, auch über sich selbst, erstickt so manchen Konflikt im Keim. Gemeinsam über miese Laune und Missgeschicke lachen, entspannt ungemein.

Und wenn es dann doch mal wieder heftig wird, die Türen fliegen, weil die Mathearbeit verhauen ist und der neue Rock eher an einen breiten Gürtel erinnert – nehmen Sie sich die Zeit, sich an Ihre eigene Pubertät zu erinnern. Wie sehr Sie Sprüche der Eltern à la „Solange du die Füße unter meinen Tisch stellst…“ gehasst haben. Und denken Sie daran, dass Sie Ihr Kind tatsächlich für das beste Kind der Welt halten. Und dass es diese schwierige Phase schaffen und seinen Weg gehen wird. So, wie Sie das auch getan haben.

Die Psychologin Elisabeth Raffauf ist seit mehr als 20 Jahren unter anderem als Familien- und Erziehungsberaterin in Köln tätig. Sie ist eine gefragte Expertin sowohl in der Fachwelt als auch in den Medien, wenn es um Themen wie Pubertät, Sexualerziehung und Mädchen geht. Gerade ist ihr neues Buch im Patmos-Verlag erschienen: „Die tun nicht Nichts, die liegen da und wachsen“. Darin erzählt sie anhand von zahlreichen realen Beispielen, wie Eltern und Jugendliche „mehr oder weniger unbeschadet“ durch die Pubertät kommen.

Auch Max Kade, pädagogischer Leiter des Studienkreises, hat sich mit dem Thema beschäftigt und gibt Rat. Warum fällt Kindern in der Pubertät das Lernen so schwer? Und wie können Eltern in dieser Zeit des Wandels mit ihren Pubertieren im Gespräch bleiben?

Hier spricht Max Kade mit Moderatorin Insina Lüschen und der Bloggerin „Frau Mutter“ über das Thema im Studienkreis-Talk auf Facebook:

Pubertätsbroschüre Studienkreis Tipps und Tricks wie Eltern ihre pubertierenden Teenager zum Lernen motivieren, finden Sie in unserem kostenlosen Eltern-Ratgeber Pubertät und Schule. In Zusammenarbeit mit Magazin Schule steht die Broschüre „Erfolgreich durch die Pubertät – Lerntipps für die wilden Jahre“ kostenlos für interessierte Eltern als Download zur Verfügung.

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  2. Nov 20, 2018: Pubertät ist, wenn man trotzdem lacht

Ein Kommentar zu “Pubertät: Das Gehirn ist eine Großbaustelle”

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