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„Ungeheuer wirksam“ – Jugendforscher Klaus Hurrelmann über die Klimaproteste

Im Kampf gegen den Klimawandel engagieren sich junge Frauen auffallend stark. Schulstreiks entwickeln sich zum raffinierten Instrument der Bewegung. Die Jugendlichen präsentieren sich ernsthaft, ihr Einsatz wirkt nachhaltig. Im Interview hat uns Jugendforscher Klaus Hurrelmann erzählt, was er an der „Generation Greta“ und den aktuellen Klimastreiks so außergewöhnlich findet.

Klaus Hurrelmann; Foto: Hertie School

Herr Hurrelmann, Sie nennen die Jugend von heute „Generation Greta“. Sind die Klimaproteste so außergewöhnlich?

Klaus Hurrelmann: Ja, auf jeden Fall. So viele junge Leute wie heute waren wirklich schon lange nicht mehr politisch interessiert und vor allem auch engagiert. Und zentrale Themen sind dabei eben Umwelt und Klima.

Betrifft das die ganze Gesellschaft, oder sind die Klimaproteste – etwas boshaft gesagt – eher ein Hobby der Reichen?

Klaus Hurrelmann: Das hat mit Reichtum tatsächlich ein bisschen zu tun, viel mehr aber mit Bildung. Die „Generation Greta“ umfasst ungefähr 40 Prozent der aktuellen Schülerinnen und Schüler, und zwar vor allem solche aus gut situierten Elternhäusern, in denen viel Wert auf Bildung gelegt wird. Entsprechend protestieren vor allem Kinder und Jugendliche aus Schulen mit gymnasialer Oberstufe. Auch Greta Thunberg stammt ja aus einem solchen Milieu.

Woran liegt das?

Klaus Hurrelmann: Nun, man muss sich das Protestieren auch leisten können. Wer freitags regelmäßig die Schule schwänzt, muss damit rechnen, in den Noten abzusacken oder einen Schulverweis oder andere Strafen zu bekommen. Da hilft es, wenn man weiß, dass einen die Eltern notfalls retten.

Auffällig ist, dass bei FridaysForFuture die Frauen tonangebend sind.

Klaus Hurrelmann: Das ist richtig. Vermutlich hängt das damit zusammen, dass Schülerinnen generell besser in der Schule sind und sich das Streiken eher leisten können. Aber es muss auch am Thema selbst liegen, mit dem sich Mädchen offenbar besonders gut identifizieren können. Jedenfalls ist es für uns Jugendforscher neu, dass sich junge Frauen so stark politisch engagieren – und unsere Daten reichen ziemlich weit zurück: bei der Shell-Jugendstudie bis ins Jahr 1953.

Die Corona-Pandemie hat die Proteste abrupt unterbrochen. Wird die Bewegung noch einmal so groß wie vorher?

Klaus Hurrelmann: Die ganz aktiven jungen Menschen, das sind ungefähr fünf Prozent, sind sehr stark ausgebremst worden. Wenn die Schule geschlossen ist, ergeben Schulstreiks natürlich keinen Sinn mehr. Dabei waren die das stärkste und raffinierteste Instrument der Bewegung: Jeder musste sich damit befassen, die Eltern, die Lehrkräfte, die Politik, das war ungeheuer nervig – und ungeheuer wirksam. Denn das hat wirklich alle aufmerksam gemacht auf das Thema Klimawandel. Wahrscheinlich hätten wir heute keine Klimaschutzgesetze in dieser Form, wenn nicht am 20. September 2019 beim weltweiten Klimastreik praktisch die ganze gebildete Republik auf die Straße gegangen wäre. Diese Erfolge halten die Bewegung weiterhin zusammen.

Wie lange noch?

Klaus Hurrelmann: Das ist schwer zu sagen. Die politischen Parteien haben schon ein Auge auf die politischen Köpfe der Bewegung geworfen. Aber die Stärke der Bewegung liegt auch darin, dass sie sich bisher von jedweder Partei ferngehalten hat. Dadurch ist sie viel intensiver und schlagfertiger, und das wissen die jungen Leute. Es bleibt also spannend.

Sie haben als Forscher viele Schülergenerationen begleitet. Glauben Sie, dass der Einsatz fürs Klima die heutige Jugend so prägt, wie die 1968er-Proteste eine Generation geprägt haben?

Klaus Hurrelmann: Ich denke, das ist mit der 68er-Bewegung durchaus vergleichbar. Der Protest der Schülerinnen und Schüler sitzt enorm tief, er wird mit unglaublich viel Leidenschaft vorgetragen. Das sind feste Überzeugungen, die ja auch mit grundlegenden Veränderungen im Alltag verbunden werden. Man zwingt sogar seine Familie zu einem anderen Lebensstil! Das geht so schnell nicht verloren. Natürlich wird auch diese Generation ein paar Lebenskompromisse eingehen. Aber ihre Ernsthaftigkeit erscheint mir nachhaltig: Diese jungen Menschen wissen, dass für unser Weiterleben wirklich etwas auf dem Spiel steht. Darin hat sie die Corona-Krise sogar noch bestätigt. Meine Prognose ist: Das bleibt.

Klaus Hurrelmann ist einer der renommiertesten deutschen Bildungswissenschaftler. Er hat die Shell Jugendstudie und die World Vision Kinderstudie geleitet und lehrt als Professor an der Hertie School of Governance. 2020 ist sein Buch „Generation Greta – Was sie denkt, wie sie fühlt und warum das Klima erst der Anfang ist“ erschienen.

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