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Darf man keine Lust haben, Pflegschaftsvorsitzender zu sein?

Keine Lust Klassenpflegschaftsvorsitzender der Klasse zu werden?Oder anders gefragt: Sollte man Klassenpflegschaftsvorsitzender werden, obwohl man überhaupt keine Lust dazu hat? Nur, weil das schlechte Gewissen einen plagt? Oder noch anders ausgedrückt: Darf man sich der demokratischen Mitwirkung verweigern, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben? Vielleicht kennt noch jemand außer mir diese Situation. Das Schuljahr hat begonnen und du wirst zur ersten Sitzung der Klassenpflegschaft eingeladen; früher – und von den meisten auch heute noch – Elternabend genannt. Nach einem langen Arbeitstag gehst du pflichtbewusst hin und nimmst leicht ermattet um Punkt 19.00 Uhr Platz.

Schön, dass die Klasse so klein ist, denkst du dir. Nur 13 Eltern, da ist ja noch individuelle Förderung möglich. Naiv gedacht. Die Wahrheit ist natürlich, dass nicht einmal die Hälfte der Familien einen Gesandten geschickt hat. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde kommt dann auch schon der wichtigste Tagesordnungspunkt: Geld abdrücken – für die Klassenkasse, für Fotokopien, für Bücher, für den Wandertag, für die Klassenfahrt, für Mineralwasser und für ein weiteres wichtiges Projekt. Nachdem du dein Portmonee bis auf den letzten Cent geleert hast, geht es über zum zweitwichtigsten TOP: die Wahl des Klassenpflegschaftsvorsitzenden.

Die große Stille vor der Wahl

Du kommst dir nicht nur vor wie in der Schule, du bist auch in einer. Nur nicht mehr als Schüler, sondern als erwachsenes Elternteil. Doch der Effekt ist der gleiche wie früher. Es ist ganz still in der Klasse. Der Lehrer ruft dich auf. Du sollst einen Satz übersetzen, aus dem du nicht eine Vokabel kennst. Diese Stille, diese unangenehme Stille. Nein, diesmal geht es nicht ums Übersetzen. Diesmal geht es um deinen inneren Dialog. „Das mache ich diesmal nicht. Ich werde nicht Klassenpflegschaftsvorsitzender. Das habe ich mir fest vorgenommen. Ich habe es schließlich schon einmal gemacht. Beim letzten Mal war es so undankbar. Die Arbeit bleibt an mir hängen und keiner ist zu irgendetwas zu motivieren. Diese Konsumhaltung der anderen. Aber zeige ich nicht dieselbe Konsumhaltung, wenn ich es nicht mache?“

Es ist immer noch mucksmäuschenstill. Alle anwesenden Eltern schauen in verschiedene Richtungen. Die Lehrerin blickt in die Runde. Nach einer Minute des Schweigens erklärt sie, dass es jemand machen MUSS, dass kein Weg daran vorbeigeht, dass es auch keinen Feierabend gibt, wenn es niemand macht. Dann schiebt sie die geschickte Frage hinterher: „Wer war denn schon einmal Klassenpflegschaftsvorsitzender?“ Du beobachtest dich, wie du dich meldest und hörst dich sagen: „Ich habe es schon einmal auf der Grundschule meines Sohnes gemacht.“ Und fügst schnell hinzu. „Aber ich habe mir vorgenommen, es nicht noch einmal zu machen.“ Zwei Fehler. Erstens: Du warst ehrlich. Zweitens: Du hast alle anderen darin bestärkt, sich nicht selbst freiwillig zu melden.Klassenpflegschaftsvorsitzender - ehrenvolle Aufgabe oder lästige Pflicht?

Die Quittung folgt auf den Fuß. Endlich traut sich jemand, etwas zu sagen. Eine Frau, jünger als du. Ja, jetzt ist der Bann gebrochen und Freiwillige melden sich, die wirklich gewählt werden wollen. Aber nein, was sagt sie denn da? „Ich finde, es sollte der erfahrene Vater machen, der schonmal Klassenpflegschaftsvorsitzender war. Er weiß doch, wie es geht.“ Zustimmendes Gemurmel. Keiner hat offenbar deinen zweiten Satz verstanden oder wollte ihn verstehen. Ein Zwischenruf von vorne links: „Ich hätte es ja auch gemacht. Aber ich muss oft sehr lange arbeiten.“ Danke, denkst du. Den Satz hättest du dir auch schenken können.

Nehmen Sie die Wahl an? 

Die Lehrerin fasst zusammen: „Ich glaube, eine geheime Wahl müssen wir nicht durchführen. Nehmen Sie die Wahl an?“ Du nickst, willst dass es vorbei ist, dass es danach nicht mehr allzu lange dauert, dass du nach Hause gehen darfst, dass du müde ins Bett fallen kannst. Da liegst du nun, knipst das Licht aus und denkst darüber nach, ob es nicht sogar gut war, dass du dich aktiv in die demokratische Gesellschaft eingebracht hast. Das kommt deinem Sohn doch zugute. Du bekommst als Klassenpflegschaftsvorsitzender immer alles mit, kannst gestalten, mitwirken, zeigst Engagement. Keine Lust ist schließlich kein gutes Argument.

Eine Woche später. Es ist 22.00 Uhr. Du sitzt seit drei Stunden als Vertreter deiner Klasse in der ersten Sitzung der Schulpflegschaft. Gerade einmal Tagesordnungspunkt 10 von 15 ist erreicht. Nach der Wahl des Vorsitzenden und seiner Stellvertreter, der Abgesandten für den Förderverein und die Landeselternvertretung führen begeisterte Gremiumsmitglieder das Wort und diskutieren langatmig über Nichtigkeiten. Einer liest einen fünf Seiten langen Brief vor, den ein Elternteil einer anderen Schule an das Kultusministerium geschickt hat. Du denkst zu diesem unverständlichen Briefungeheuer nur: „Wie kann man doch mit abscheulichen Satzkonstruktionen die eigene gute Sache völlig zerstören?“ Alle positiven Gedanken von einst sind wie weggewischt. Du bist wütend, ärgerst dich, dass du schwach geworden bist und es doch wieder getan hast. Willst nur noch weg, weit weg.

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