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Studienkreis Blog

„Ich hätte es gut gefunden, wenn wir vom Jobcenter von dieser Fördermöglichkeit erfahren hätten“

Die neunjährige Charlotte* erhält Nachhilfeunterricht in Deutsch und Mathematik im Studienkreis, die Kosten übernimmt der Staat: Da Charlottes Mutter Susanne Wagner* Arbeitslosengeld II bezieht, hat ihre Tochter Anspruch auf Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket (BuT). Dass dazu auch Nachhilfe zählt, hat die Familie allerdings nur durch Zufall erfahren. Im Interview erzählt Susanne Wagner, was die Förderung für ihre Familie bedeutet.

Studienkreis Nachhilfe Bildungsgerechtigkeit
Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass in Deutschland noch viel zu tun ist, um Chancengerechtigkeit in der Bildung zu erreichen.

Charlotte besucht die vierte Klasse. Wieso braucht sie Nachhilfe?

Susanne Wagner: Wir sind im Juni 2020 umgezogen. Charlotte konnte vor den Sommerferien noch ihre neue Klasse kennen lernen. Erst war sie etwas skeptisch, aber dann hat sie schnell Freunde gefunden. Doch dann ging das Homeschooling los, und das lief nicht so gut. Die Schule hat kaum überprüft, ob die Kinder zuhause lernen. Deshalb hat Charlotte irgendwann gedacht, sie müsse gar nichts tun und könne einfach zuhause bleiben. Ich habe dann gesagt, dass das nicht läuft. Meine eigene Mutter hat mich kaum unterstützt. Ich will das besser machen und helfen, wo ich kann. Aber mit mir wollte Charlotte nicht lernen. Deshalb habe ich mich schließlich an die Lehrerin gewendet. Die hat allerdings nur gesagt, ich solle nicht so viel Druck ausüben.

Wie haben Sie darauf reagiert?

Ich habe gesagt, dass ich es wichtig finde, dass meine Tochter weiß, dass sie lernen soll, auch wenn sie zuhause ist. Das waren ja keine Ferien! Hinzu kommt, dass sie in Charlottes alter Schule viel weiter zurück waren im Vergleich zur neuen Schule. In der neuen Schule hatten sie schon Schreibschrift, auch mit dem kleinen Einmaleins hatten sie schon viel früher angefangen. Ich habe gemerkt, dass Charlotte da nicht mitkam. Die Schule schlug schließlich vor, dass sie die Hausaufgabenbetreuung und den Zahlen- und Buchstabenclub der Schule besucht.

Vielleicht muss ich noch dazu sagen, dass es Charlotte insgesamt nicht so gut ging. Bevor wir hierher gezogen sind, haben wir viel durchgemacht. Ich habe mich vor Gericht mit meinem Ex-Mann auseinandergesetzt und verloren. Mein 16-jähriger Sohn ist aus der Familie genommen worden und lebt jetzt in einer Jugendeinrichtung. Charlotte leidet sehr unter dem Verlust ihres Bruders und kann damit nicht gut umgehen. Mein Sohn ist oft am Wochenende hier. Für meine beiden Töchter und für mich ist es immer sehr schwierig, ihn nach diesen Besuchen wieder wegzubringen. Auch das macht es ihr schwer, sich auf das Lernen zu konzentrieren.

Wie ging es Charlotte mit der schulischen Förderung?

Sie war der Meinung, dass sie da nichts lernt. Ich habe dann versucht, das Einmaleins in den Alltag einzubauen. Das kann man ja überall üben, beim Spazierengehen, Einkaufen, Tischdecken. Aber auch das fand sie nicht hilfreich. Deshalb habe ich dann beschlossen, dass sie Nachhilfe bekommt – auch, weil ich den Eindruck hatte, dass sich die Schule zu wenig kümmert und meine Sorgen nicht ernst nimmt.

Charlottes Nachhilfe im Studienkreis wird über das Bildungs- und Teilhabepaket finanziert

Woher wussten Sie, dass es diese Möglichkeit gibt?

Am Anfang wusste ich das gar nicht. Als ich gehört habe, was Nachhilfe kostet, habe ich erst ein wenig geschluckt, weil ich mir das eigentlich gar nicht leisten kann. Aber dann hat mich die Dame vom Studienkreis gefragt, ob wir Anspruch auf das Bildungs- und Teilhabepaket haben, und hat mir gesagt, dass darin auch Nachhilfe enthalten ist.

Ich bin leider zurzeit auf staatliche Unterstützung angewiesen. Neben Charlotte kümmere ich mich auch noch um meine große Tochter, die eine schwere geistige Behinderung hat. Es war mir ein bisschen unangenehm zu erzählen, dass ich Geld vom Amt bekomme, aber als Alleinerziehende mit der Pflege meiner beiden Töchter ist es sehr schwer, eine Arbeit zu finden, die mir erlaubt, meine Aufgaben zuhause zu erfüllen.

Kannten sie das Bildungs- und Teilhabepaket generell nicht oder wussten Sie nur nicht, dass darüber auch Nachhilfe finanziert werden kann?

Ich kenne BuT, seit ich mich vor einigen Jahren von meinem zweiten Ehemann getrennt habe und finanziell zu kämpfen hatte. Da habe ich auch Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket in Anspruch genommen – ich hatte ja alle drei Kinder bei mir. Im Bekanntenkreis hatte ich von BuT gehört. Inzwischen bekommt man einige der Leistungen automatisch, zum Beispiel einmal im halben Jahr Unterstützung für Schulbedarf. Aber dass es auch Unterstützung für Lernförderung gibt, wusste ich nicht, als ich beim Studienkreis angefragt habe. Ich hätte es gut gefunden, wenn wir vom Jobcenter von dieser Fördermöglichkeit erfahren hätten und nicht nur durch Zufall.

Wie ging es nach dem Erstgespräch im Studienkreis weiter?

Ich habe einen Kostenvoranschlag für die Nachhilfe beim Jobcenter eingereicht. Dann brauchten wir noch von der Deutsch- und der Mathematiklehrerin eine Bestätigung, dass Charlotte Unterstützung braucht. Das hat eine Weile gedauert, aber danach wurde sehr schnell die Lernförderung genehmigt. Wenn diese Genehmigung Ende des Halbjahres ausläuft, werde ich einen neuen Antrag stellen, weil Charlotte auch in der fünften Klasse voraussichtlich noch Unterstützung braucht. Die Förderung durch das Bildungspaket ist nicht unbedingt zeitlich begrenzt. Die Finanzierung von Nachhilfe aus dem Bildungspaket ist auch dauerhaft möglich.

Wie gefällt es Charlotte in der Nachhilfe?

Zunächst wollte sie da nicht so gern hin, genauso wie sie im Moment nicht gern in die Schule geht. Ich habe ihr gesagt, dass ihr das gut tun würde, und wenn ich sie jetzt nach der Nachhilfe frage: „Na, tat es gut?“, sagt sie: „Ja!“. Das überrascht mich gar nicht. Dort ist sie ja mit sehr wenigen Kindern in einer Gruppe, das ist fast Eins-zu-Eins-Unterricht, deshalb kann sie in 1,5 Stunden sehr viel mitnehmen.

Am Ende des Schuljahres steht für Charlotte der Übertritt auf eine weiterführende Schule an.

Spielt das auch eine Rolle für ihre Entscheidung für die Nachhilfe?

Ja, ich hoffe sehr, dass sie durch die Nachhilfe einen guten Start an der neuen Schule hat und nicht noch einmal so einen schwierigen Einstieg hat wie nach unserem Umzug.

* Namen auf Wunsch der Interviewten geändert.

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