Nachhilfe – nur für Reiche?
Reiche pauken mehr. Nachhilfe – eine Domäne der gehobenen Schichten. – Das sind zwei typische Schlagzeilen, die einem begegnen, wenn man sich für den Zusammenhang von Einkommensverteilung und Nachhilfe interessiert. Aber stimmt das eigentlich? Nehmen überwiegend Kinder aus einkommensstarken Familien Nachhilfe in Anspruch? Glaubt man den wenigen Forschungsergebnissen, die es hierzu gibt, muss man die Frage mit einem klaren Jein beantworten.
Andrea Abele und Eckhardt Liebau, zwei Sozialwissenschaftler der Universität Erlangen-Nürnberg, konnten die These jedenfalls nicht bestätigen. Ihre Untersuchung aus den 90er Jahren trug den schlichten Titel „Nachhilfeunterricht“. Darin stellen sie fest, dass Kinder aus Familien mit niedrigem Einkommen in etwa gleich häufig Nachhilfe in Anspruch nehmen wie ihre Klassenkameraden aus Haushalten mit einem hohen Nettoeinkommen.
Zu einem anderen Ergebnis kommt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das 2004 Daten des sozio-ökonomischen Panels (SOEP) ausgewertet hat. Das SOEP ist eine repräsentative Wiederholungsbefragung von über 12.000 Privathaushalten in Deutschland. Demnach ist der Anteil der Nachhilfeschüler aus dem obersten Einkommensviertel doppelt so hoch wie derjenige aus dem untersten. Aber auch hier ist der Anteil der Nachhilfeschüler aus den einkommensschwächeren Familien mit etwa 20 Prozent recht hoch. Das heißt: Auch Eltern mit wenig Geld ist die Bildung ihrer Kinder wichtig.
Nachhilfe nur für Reiche? Auch armen Menschen ist Bildung wichtig
Schaut man sich beispielsweise einmal an, wie sich die Nachhilfeschulen des Instituts Studienkreis verteilen, bestätigt sich dieser Eindruck. Studienkreise gibt es in strukturstarken Regionen ebenso wie in schwächeren. Kinder aus dem gehobenen rheinländischen Vorort Ratingen-Lintorf nehmen ihre Extralektionen am Nachmittag genauso oft in Anspruch wie ihre Altersgenossen in Berlin-Marzahn.
Ist die Frage, ob Reiche häufiger Nachhilfe in Anspruch nehmen als Arme, nicht eindeutig zu beantworten, so ist ein anderer Zusammenhang dagegen offensichtlich. Für Reiche ist es vergleichsweise leichter, die Kosten für private Nachhilfe zu tragen als für Menschen mit geringem Einkommen. Mit ihrem Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) will die Bundesregierung dem Rechnung tragen und gegensteuern, schafft es aber nur bedingt. Zu strikt sind die Bedingungen formuliert, zu kompliziert ist oft das Antragsverfahren. So ist die Bewilligung von Nachhilfe meist nur dann zu erwarten, wenn das „Erreichen wesentlicher Lernziele“ nicht sicher ist. Dabei geht es zumeist um die Versetzung, deren Gefährdung die Schulen erst mit dem Halbjahreszeugnis im Januar oder Februar feststellen. Bis dann die Familie den Antrag gestellt, der Lehrer die Förderung für notwendig erklärt hat, das Amt ihn gesichtet und bewilligt hat und schließlich die Nachhilfe angetreten ist, kann das Schuljahr schon fast vorbei sein. Ist das Schuljahresziel dennoch mit Mühe geschafft, endet die Förderung wieder, ohne dass die Leistungsverbesserung des Schülers auf einem soliden Fundament steht. Nach drei Monaten ist ohnehin spätestens Schluss, es sei denn, einem Folgeantrag wird stattgegeben, der das vorherige Procedere erneut verlangt. Und wer die Nachhilfe beispielsweise dazu nutzen möchte, einen höheren Bildungsabschluss zu erreichen, geht leer aus. Das folgende Video der Vodafone-Stiftung bringt es auf den Punkt:
Da ist es im Grunde schon erstaunlich, dass die Zahl der Nachhilfeschüler des Studienkreises, die einen Bildungsgutschein einlösen, deutlich zunimmt. An manchen Standorten kommen schon mehr als die Hälfte der Schüler über das BuT. Ein Hinweis darauf, dass es neben den schlechten Beispielen aus der Praxis auch viele gute gibt. Dass es den Beteiligten im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten um schnelle und unkomplizierte Hilfe geht. Und auch in der Rechtsprechung tut sich etwas. So gibt es zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen einen Erlass, der die Gruppe der Leistungsempfänger ausweitet. Das nordrhein-westfälische Arbeitsministerium teilte bereits im Juli 2012 mit: „Auch Schülerinnen und Schüler, die formal nicht versetzungsgefährdet sind, sollen Zugang zur Lernförderung erhalten.“ Weiter heißt es in dem Erlass: „Zudem wird auch die Erreichung eines höheren Lernniveaus gefördert, das der Verbesserung der Chancen auf dem Ausbildungsmarkt, der weiteren Entwicklung im Beruf und damit der Fähigkeit dient, später den Lebensunterhalt aus eigenen Kräften bestreiten zu können.“ Ein begrüßenswerter Schritt.
Anderswo hingegen ist alles beim Alten geblieben, sodass die widersprüchliche Nachrichtenlage zur Nutzung von Lernförderung nicht verwundert. So titelte die „Volkstimme“ für den Landkreis Anhalt-Bitterfeld in Sachsen-Anhalt am 6. Mai 2013: „Lernhilfe wird kaum nachgefragt“. Am selben Tag war in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ zu lesen: „Bildungspaket funktioniert in Osnabrück.“ Im Sinne der Schülerinnen und Schüler, die dringend außerschulische Unterstützung benötigen, bleibt zu hoffen, dass es bald überall funktioniert.
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