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Lernschwächen bei Kindern

Fremdsprachenerwerb und Legasthenie –
Herausforderungen und Bewältigungsstrategien

Beim Erlernen einer Fremdsprache werden die Schüler mit völlig neuen Herausforderungen konfrontiert. Neben den Grundzügen der Grammatik hat jede Sprache ihre Eigenheiten und Feinheiten, die potenzielle Stolperfallen darstellen können. Doch wie gestaltet sich der Fremdsprachenerwerb, wenn bereits in der Muttersprache eine Lernschwäche vorliegt?

In diesem Beitrag gehen wir auf die Schwierigkeiten ein, die für Kinder mit einer Lese-Rechtschreib-Schwäche beim Erwerb einer Fremdsprache entstehen können. Diese potenziellen Lernprobleme zeigen wir beispielhaft am Fach Englisch.

Fremdsprachenerwerb und LRS – Zusammenhänge

Spätestens nach dem Ende der Grundschulzeit beginnt für viele Kinder der Fremdsprachenunterricht. Die Grundlagen der Schriftsprache wurden zu diesem Zeitpunkt bereits vermittelt, aber das Erlernen einer weiteren Sprache birgt neue Herausforderungen. Die Struktur und die innere Logik einer Sprache zu verstehen und anzuwenden, bereitet vielen Schülern Schwierigkeiten.

Bei Kindern mit LRS treten diese Probleme in vielen Fällen jedoch deutlich stärker und langwieriger auf. Da sie bereits in ihrer Muttersprache nur über eine mangelhafte phonologische Bewusstheit und eine geringe sprachliche Merkfähigkeit verfügen, sehen sie sich im Fremdsprachenerwerb mit denselben Problemen konfrontiert.

Europäische Sprachen werden zu den sogenannten alphabetischen Sprachen gezählt. Das bedeutet, dass die Laute eines Wortes durch Buchstaben dargestellt werden. Manche Sprachen sind eher lautgetreu (z.B. Spanisch und Italienisch), andere weisen eine große Varianz in der Zuordnung von Lauten und Buchstaben auf (z.B. Englisch und Französisch). Aussprache und Verschriftlichung unterscheiden sich in diesem Falle deutlich voneinander. Kinder mit LRS können verschiedene Laute (Phoneme) nur schwer heraushören und der entsprechenden Verschriftlichung (Grapheme) zuordnen. Bei nicht lautgetreuen Sprachen treten die Schwierigkeiten demnach verstärkt auf. Die Diskrepanzen zwischen dem Klang und Bild eines Wortes erschweren zudem die Verinnerlichung von Vokabeln.

Jede Fremdsprache stellt unterschiedliche Anforderungen an ein Kind mit LRS. Typischerweise werden betroffene Kinder mit folgenden Problemen konfrontiert:

  • Englisch: Die Verschriftlichung von Wörtern entspricht selten der Aussprache. Laute können verschiedenen Buchstaben zugeordnet werden.
  • Französisch: Schwierigkeiten bei der Unterscheidung von ähnlich klingenden Lauten. Die Schreibweise entspricht selten der Aussprache.
  • Latein: Herausforderung an die Lesekompetenzen, da die Wortbedeutung von einer genauen Wiedergabe jedes Buchstaben abhängig ist. Zudem fehlen natürliche Kommunikationssituationen (etwa Dialoge).

Häufige Fehler und daraus folgende mangelhafte Leistungen sorgen dafür, dass betroffene Kinder die Motivation verlieren oder sich zunehmend unter Stress gesetzt fühlen. Grundlegende Zweifel an den eigenen Fähigkeiten können den Lernprozess zusätzlich erschweren. Daher ist es wichtig, Kinder mit LRS auch im Fremdsprachenunterricht zu fördern. Auf diese Weise lässt sich der Teufelskreis aus Leistungsdruck, Misserfolgen und Selbstzweifeln unterbrechen.

Gibt es eine „Fremdsprachenlegasthenie“?

Von Legasthenie oder LRS wird gesprochen, wenn die Lese- und Rechtschreibfähigkeiten eines Kindes in Diskrepanz zur Intelligenz und zum generellen Leistungspotenzial stehen. Betroffene Kinder verwechseln Buchstaben, haben Probleme bei der Silbentrennung und können Wortgrenzen nur schwer erkennen. Dieselben Schwierigkeiten treten häufig auf, wenn Kinder mit Legasthenie eine Fremdsprache erlernen. Noch hinzu kommen Probleme, die vermehrt beim Fremdsprachenerwerb wichtig werden: Die Differenzierung verschiedener, ähnlich klingender Laute und deren Zuordnung zu Buchstaben fällt ihnen schwer. Laute, die auch in ihrer Muttersprache existieren, werden in Fremdsprachen häufig anders verschriftlicht. Beim Vokabellernen haben sie Schwierigkeiten, die Aussprache mit dem geschriebenen Wort zu verbinden, vor allem wenn diese stark voneinander abweichen. Durch ihre Lernschwäche wird ihnen das Auswendiglernen erschwert (Quelle: Bundesverband Legasthenie & Dyskalkulie e.V.)

In vielen Fällen werden Schwierigkeiten in einer Fremdsprache erst sichtbar, wenn der Unterricht sich intensiv auf die Schriftsprache konzentriert. Eine Diskrepanz zwischen den mündlichen Fähigkeiten und ihrer Anwendung im schriftlichen Bereich wird deutlich. Werden diese Probleme im Fremdsprachenunterricht erkannt, wird häufig von „Fremdsprachenlegasthenie“ gesprochen. Experten sind sich jedoch einig, dass es sich dabei nicht um eine isolierte Störung handelt. Vielmehr soll betont werden, dass das Kind von allgemeinen LRS-Symptomen betroffen ist, die im Fremdsprachenunterricht zum Vorschein treten.

Wie kann man eine LRS beim Fremdsprachenerwerb erkennen?

Nicht jeder Fall von „Englischschwäche“ ist beispielsweise mit einer Lernstörung wie Legasthenie verbunden. Häufig fehlt Kindern zunächst der Zugang und regelmäßige Kontakt mit der Zielsprache. Sind die Lese- und Rechtschreibfähigkeiten eines Kinds in Anbetracht seines Alters und seiner allgemeinen Intelligenz jedoch deutlich mangelhaft und halten die Schwierigkeiten über einen langen Zeitraum an, liegt der Verdacht auf Legasthenie nah.

Wie lässt sich also erklären, dass Kinder im Deutschunterricht scheinbar keine Schwierigkeiten haben und die Probleme mit dem Beginn des Fremdsprachenunterrichts einsetzen? Vor allem im Grundschulalter gelingt einigen betroffenen Kindern noch die Kompensation ihrer Lese- und Rechtschreibprobleme: Beispielsweise verwenden sie bei Textaufgaben nach Möglichkeit dieselben leichten Wörter, die sie sich intensiv eingeprägt haben. In einer Fremdsprache sind diese Strategien nicht mehr anwendbar.

Die Schwierigkeiten in der Fremdsprache können Probleme mit der Muttersprache verstärken, da die Kinder sich anstrengen müssen, oftmals widersprüchliche Grammatik- und Rechtschreibregeln zu unterscheiden und zu verinnerlichen. An diesem Punkt können die vorhandenen LRS-Symptome stärker sichtbar werden. Unentdeckte Defizite bei den Lese- und Schreibfertigkeiten in Deutsch sollten Sie durch einen wissenschaftlichen LRS-Test abklären lassen.

Auch der entgegengesetzte Fall ist denkbar: Manche Kinder zeigen im Fremdsprachenunterricht keine deutlichen Probleme, obwohl sie von einer LRS betroffen sind. Wenn nach der ursprünglichen LRS-Diagnose eine Lerntherapie erfolgt ist, hatte das Kind in der Zwischenzeit die Möglichkeit, seine sprachlichen Kompetenzen auszubauen. Generell können auch günstigere Bedingungen im Fremdsprachenunterricht den Spracherwerb fördern: Dazu zählen effektive Lernmethoden, strukturierte Unterrichtspläne, regelmäßiger Unterricht ohne viele Ausfallzeiten oder Lehrerwechsel.

LRS und Englisch – Ursachen für „Englischschwäche“

Schwierigkeiten beim Erwerb der englischen Sprache sind keine Seltenheit. Für viele Kinder ist es zunächst eine Herausforderung, die vom Deutschen abweichenden Grammatikregeln zu verinnerlichen oder die Feinheiten der Aussprache zu meistern.

Die mündliche Verwendung der Sprache gelingt Kindern mit LRS für gewöhnlich besser als die Verschriftlichung. Sobald vermehrt die Schriftsprache gelehrt wird, treten merkliche Probleme bei der Rechtschreibung und dem Leseverständnis auf. In der Aussprache können sie kleine Unterschiede nicht heraushören, im geschriebenen Wort werden sie schnell übersehen.

Im Englischunterricht häufen sich daher folgende Fehler:

  • Verwechslung von ähnlich klingenden Wörtern mit unterschiedlichen Bedeutungen (z.B. there – their – they’re)
  • Verwechslung von gleichen Lauten mit unterschiedlichen Schreibweisen (z.B. see – sea)
  • Rechtschreibfehler, da die Wörter häufig nach der Aussprache/dem Klang buchstabiert werden

Viele Lernprozesse, beispielsweise Vokabelwiederholungen, bauen auf den Lese- und Schreibfähigkeiten der Kinder auf. Hat das Kind Schwierigkeiten bei der Silbentrennung oder der Unterscheidung von Lauten in der Muttersprache, übertragen sich diese Probleme meist auf die Fremdsprache.

Die englische Sprache ist weniger lautgetreu als Deutsch, dadurch entstehen folgende Hürden:

  • Derselbe Laut kann unterschiedlich verschriftlicht werden (z.B. der lange u-Laut in „June“, „moon“ und „who“).
  • Laute mit gleicher Schreibweise werden unterschiedlich ausgesprochen (z.B. kurzer u-Laut in „good“, langer u-Laut in „food“).
  • Manche Buchstaben eines Wortes werden nicht ausgesprochen (z.B. das e in „time“).

Betroffene Kinder haben Probleme dabei, sich Wörter und Sätze korrekt einzuprägen. Auch schriftliche Revisionsaufgaben sind für sie eine größere Herausforderung. Vermehrte Lesefehler führen natürlich dazu, dass die Kinder den Sinn eines Wortes oder Textes nicht erfassen oder nicht korrekt übersetzen können. Bei mangelhaften Lesefähigkeiten gelingt es Kindern meist nicht, den Sinn von Vokabeln aus dem Kontext zu erschließen. Infolgedessen können Hausaufgaben oft eine lange Zeit in Anspruch nehmen. Trotz intensiver Übungen haben die Kinder weiterhin Schwierigkeiten, sich gelernte Inhalte einzuprägen.

Hilfe beim Fremdsprachenerwerb

Nachhilfe und LRS-Lerntherapien können mit speziellen Übungen dabei helfen, die Hürden beim Erlernen einer Fremdsprache zu überwinden. Somit können Frust und Stress vermieden werden, Angstgefühle werden gehemmt und das Selbstbewusstsein Ihres Kindes wird gesteigert. Durch die Förderung des Lernprozesses wird zudem garantiert, dass Ihr Kind im späteren Leben grundlegende Fremdsprachenkenntnisse vorweisen kann.

Idealerweise beginnt der Fremdsprachenunterricht erst dann, wenn die Probleme in der Muttersprache bereits ausgebessert wurden. Da dies aber nicht in jedem Fall möglich ist, können andere Maßnahmen ergriffen werden, um den Fremdsprachenerwerb zu erleichtern:

  • Erklärungen von Grammatik- und Rechtschreibregeln in der Muttersprache
  • übersichtliche Darstellung wichtiger Regeln
  • mündliche Vokabeltests
  • Lückentexte statt Diktate
  • häufiger Kontakt mit der Zielsprache (Musik, Filme etc.)
  • Einsatz von Visualisierung
  • keine zusätzliche Verwirrung durch Einführung der Lautschrift

Generell sollte mehr Zeit für Übungen eingeplant werden. Häufige Wiederholungen sind wichtig, um sprachliche Fähigkeiten zu festigen, allerdings sollte das Kind gleichzeitig nicht überfordert werden. Lob sollten Sie regelmäßig und auch bei kleinen Fortschritten aussprechen. So steigern Sie das Selbstvertrauen Ihres Kindes und verhindern, dass es Rückschläge und Frust mit der Fremdsprache in Verbindung bringt.

Fazit

Kinder mit LRS haben bereits in ihrer Muttersprache mit deutlichen Schwierigkeiten beim Erwerb der Schriftsprache zu kämpfen. Wenn sprachliche Grundfertigkeiten fehlen, zeigen sich die Auswirkungen in der Fremdsprache. Betroffene Kinder verfügen demnach nicht über ein grundlegendes sprachliches Verständnis, das auf fremde Sprachstrukturen angewendet werden könnte. Ein neues sprachliches Regelwerk kann für Verwirrung sorgen und so Probleme in der Muttersprache sichtbar machen, die Ihr Kind zuvor noch durch bestimmte Kompensationsstrategien ausgleichen konnte. Um die optimalen Rahmenbedingungen für den Erwerb einer Fremdsprache zu bieten, sollten die Defizite daher zunächst in der Muttersprache ausgeglichen werden. Gezielte Förderung festigt die Lese- und Rechtschreibfähigkeiten in der Muttersprache und nimmt einen positiven Einfluss auf das Erlernen einer Fremdsprache.

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