Zuletzt aktualisiert am 14.11.2024
Durch die allgemeine Schulpflicht haben in Deutschland alle Schulkinder und Eltern einen Berührungspunkt mit den Themen Religion und Religionsgemeinschaften: den Religionsunterricht an deutschen Schulen. Grundsätzlich löst jeder Staat die Frage des Religionsunterrichts anders, in Deutschland gibt es keine strikte Trennung von Kirche und Staat. Daher ist die Erteilung von Religionsunterricht an staatlichen Schulen grundsätzlich möglich und unter bestimmten Bedingungen auch durch die Verfassung gefordert. Anders sieht die Lage im laizistischen Staat Frankreich aus.
Dieser Überblick dient dem Einstieg in die Thematik und stellt keine Rechtsberatung dar.
Religionsunterricht im Grundgesetz
Besonders in Artikel 4 des Grundgesetzes (GG) werden die Grundzüge des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften bestimmt. Neben der Religionsfreiheit (Absatz 1) wird auch die Freiheit der ungestörten Religionsausübung (Absatz 2) gewährleistet. Konkret auf den Religionsunterricht geht Art. 7 GG ein und in Art. 140 GG werden weitere Details geklärt. Für die konkrete Ausgestaltung des Religionsunterrichts ist der jeweilige Landesgesetzgeber zuständig, da Kultusangelegenheiten in die Kompetenz der Länder fallen, daher unterscheidet sich die Form des Religionsunterrichts von Bundesland zu Bundesland.
Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach
“Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach.” (Artikel 7 GG)
Als ordentliches Lehrfach (auch: Pflichtfach) ist der Religionsunterricht damit Fächern wie Deutsch oder Mathematik gleichgestellt. Die Teilnahme ist verpflichtend, es wird mit Noten bzw. Punkten bewertet und ist versetzungsrelevant. Dies gilt für alle Schulen, außer den sogenannten bekenntnisfreien Schulen, die generell keinen Religionsunterricht erteilen. Ob es bekenntsnisfreie Schulen gibt, entscheidet wiederum der Landesgesetzgeber. Eine Ausnahme bildet die sogenannte Bremer Klausel.
Neutralität des Staats
“Es besteht keine Staatskirche." (Art. 140 GG, bzw. Art. 137, Absatz 1 Weimarer Reichsverfassung von 1919)
Der Staat ist gegenüber den Religionsgemeinschaften grundsätzlich zu Neutralität verpflichtet und darf sich daher mit keiner Religionsgemeinschaft in der Form identifizieren, dass es eine institutionelle Verflechtung von Staat und Religionsgemeinschaften gibt. Da die Religionsausübung im Grundgesetz aber auch nicht zur Privatangelegenheit der Gläubigen erklärt, sondern im Gegenteil ausdrücklich geschützt wird (Artikel 4 GG), bleibt sie eine öffentliche Angelegenheit. Das macht in verschiedenen Fragen, den sogenannten „gemeinsamen Angelegenheiten“ - zu denen auch der Religionsunterricht gehört - die Kooperation von staatlichen Stellen und Religionsgemeinschaften erforderlich.
Konfessionelle Gebundenheit des Religionsunterrichts
Aufgrund des Gebots der religiösen Neutralität des Staates darf er nicht selbst Religionsunterricht erteilen. Daher liegen folgende Aufgaben bei den Religionsgemeinschaften:
- Erteilen des Religionsunterrichts in konfessioneller Gebundenheit
- Bestimmung der Unterrichtsinhalte
- Auswahl der Religionslehrerinnen und Religionslehrer
Der Staat überprüft lediglich, ob die Unterrichtsinhalte mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes übereinstimmen und übt gemeinsam mit den Religionsgemeinschaften die Dienstaufsicht aus. Staatlicherseits erteilte überkonfessionelle Religionskunde oder überkonfessioneller Ethikunterricht ersetzen den konfessionellen Religionsunterricht nicht, sondern ergänzen ihn.
Gleichbehandlung nicht-christlicher Religionsgemeinschaften
Nach dem allgemeinen Gleichheitssatz (Artikel 3 GG) sind alle Religionsgemeinschaften gleich zu behandeln, sodass die Erteilung von Religionsunterricht nicht auf die großen christlichen Bekenntnisse beschränkt ist.
Allerdings kann der Landesgesetzgeber festlegen, dass eine Religionsgemeinschaft eine bestimmte Größe erreicht haben muss, um zur Erteilung von Religionsunterricht an staatlichen Schulen berechtigt zu sein.
Was ist die "Bremer Klausel"?
“Artikel 7 Abs. 3 Satz 1 findet keine Anwendung in einem Lande, in dem am 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand.” (Art. 141 GG)
Diese Bestimmung wird auch als „Bremer Klausel“ bezeichnet und beinhaltet eine wichtige Ausnahme vom Grundsatz, dass der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen ein ordentliches Lehrfach ist. Hintergrund ist, dass die Bremische Verfassung von 1947 bestimmte, dass „Unterricht in biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage“ zu erteilen ist – also gerade kein konfessioneller Religionsunterricht, wie ihn Artikel 7 GG vorsieht. Die Ausnahmeregelung des Artikels 141 GG betraf neben dem Bundesland Bremen nur (West-)Berlin. Anders als in Bremen obliegt der Religionsunterricht nach § 23 des Berliner Schulgesetzes von 1948 zwar den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, ist aber – anders als von Artikel 7 GG verlangt – kein ordentliches Lehrfach, sondern lediglich Wahlfach.
Entscheidung über die Teilnahme am konfessionellen Religionsunterricht
“Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.” (Art. 7, Absatz 2 GG)
Wenn das Kind Mitglied einer Religionsgemeinschaft ist, die an der von ihm besuchten Schule konfessionellen Religionsunterricht erteilt, ist es grundsätzlich zur Teilnahme am Religionsunterricht verpflichtet. Dazu bedarf es keiner Anmeldung durch die Eltern. Die Erziehungsberechtigten haben allerdings das Recht, ihr Kind vom Religionsunterricht abzumelden, bzw. zum Unterricht einer anderen Konfession anzumelden.
Diese Entscheidung treffen die Eltern solange, bis das Kind religionsmündig ist.
Wann ist ein Kind religionsmündig?
Die Religionsmündigkeit wird mit der Vollendung des 14. Lebensjahrs erreicht. Lediglich in Bayern und im Saarland können Schülerinnen und Schüler sich erst mit der Vollendung des 18. Lebensjahres selbst vom Religionsunterricht abmelden. Die Eltern sind verpflichtet, ihr Kind je nach Alter in die Entscheidung mit einzubeziehen:
- Vor Vollendung des zehnten Lebensjahres können die Eltern über die Ab- oder Ummeldung frei entscheiden
- ab Vollendung des zehnten Lebensjahres müssen sie das Kind zu dieser Frage anhören
- ab dem zwölften Lebensjahr müssen sie seine Zustimmung einholen, damit die Entscheidung wirksam wird und
- ab Vollendung des 14. Lebensjahres kann das Kind selbst frei entscheiden.
Bedingungen für eine Ab- oder Ummeldung
Eine Abmeldung vom Religionsunterricht ist grundsätzlich nur dann möglich, wenn die Teilnahme aus Gewissensgründen abgelehnt wird. Die Schule ist zu einer Überprüfung der Gewissensgründe nicht berechtigt.
Anders gelagert ist der Fall bei einem Kirchenaustritt: Hier erlöscht die Pflicht zur Teilnahme am Religionsunterricht, ohne dass es einer förmlichen Abmeldung bedarf. Bei einem Übertritt zu einer anderen Religionsgemeinschaft, die ebenfalls konfessionellen Religionsunterricht anbietet, erlöscht die Pflicht zur Teilnahme am Religionsunterricht der alten Religion, während sie zeitgleich für den Religionsunterricht der neuen Religion beginnt. Bei einem Übertritt zu einer Religion oder Konfession, für die kein konfessioneller Religionsunterricht angeboten wird, besteht auch keine Pflicht zur Teilnahme am Religionsunterricht.
Rechte und Pflichten der Schule
Müssen alle Schulen konfessionellen Religionsunterricht anbieten?
Artikel 7 GG besagt „der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach“. Wie oben bereits erläutert bedeutet das: Entscheidet ein Bundesland, bekenntnisfreie Schulen einzurichten, muss dort kein konfessioneller Religionsunterreicht angeboten werden. An allen anderen öffentlichen Schulen ist konfessioneller Religionsunterricht dagegen ordentliches Lehrfach und muss angeboten werden.
Welche Konfessionen dürfen oder müssen staatliche Schulen unterrichten?
Der allgemeine Gleichheitssatz des Grundgesetzes (Artikel 3 Absatz 1 GG) verlangt, alle Religionen gleich zu behandeln. Das bedeutet im Prinzip auch, dass sie alle in gleichem Maße berechtigt sind, Religionsunterricht an staatlichen Schulen zu erteilen. Es wird allerdings als mit dem Gleichheitssatz vereinbar angesehen, das Recht der Erteilung von Religionsunterricht von einer gewissen Mindestteilnehmerzahl abhängig zu machen, deren Festlegung in die Kompetenz der Landesgesetzgeber fällt. Diese Mindestteilnehmerzahl wird von vielen Religionsgemeinschaften oder Konfessionen nicht erreicht.
Ein etwas anders gelagertes Problem ergibt sich bei der Frage eines islamischen Religionsunterrichtes. Denn auch wenn es in vielen Bundesländern mittlerweile eine große Anzahl von Musliminnen und Muslimen gibt, kennt der Islam keine mitgliedschaftlichen Organisationen wie andere Religionsgemeinschaften, sodass die übergeordneten muslimischen Verbände nur wenige Muslime vertreten und es dem Staat daher an einem Ansprechpartner fehlt, der die Unterrichtsinhalte festlegt.
Gibt es eine Pflicht zum konfessionslosen Angebot?
Die Schulen haben keine Pflicht zu einem konfessionslosen Alternativangebot. Es gibt lediglich eine Aufsichtspflicht gegenüber denjenigen minderjährigen Schülerinnen und Schülern, die nicht am konfessionellen Religionsunterricht teilnehmen.
In den Bundesländern, für die die Ausnahmebestimmung der “Bremer Klausel” gilt, muss nach dem allgemeinen Gleichheitssatzes entweder der Religionsunterricht für alle Kinder und Jugendlichen geöffnet werden oder ein konfessionsloses Alternativangebot, wie Ethikunterricht, gemacht werden.
Pflichten und Rechte von Schulen in Trägerschaft von Religionsgemeinschaften
Artikel 7 GG betrifft Schulen, die vom Staat getragen werden und sich keinem einzelnen Bekenntnis zuordnen, also gerade nicht Schulen in der Trägerschaft einer Religionsgemeinschaft. An Bekenntnisschulen darf daher ausschließlich Religionsunterricht in der Religion oder Konfession der die Schule betreibenden Religionsgemeinschaft erteilt werden– manche Bekenntnisschulen bieten allerdings freiwillig Alternativen an. Die Teilnahme am Religionsunterricht ist an diesen Schulen in der Regel auch für Schülerinnen und Schüler anderen Bekenntnisses verbindlich. Es besteht aber keine Pflicht zum Besuch einer Bekenntnisschule.
Rechte und Pflichten der Religionsgemeinschaften
Recht auf Unterricht ihrer Konfession?
Unter der Voraussetzung, dass die erforderliche Mindestteilnehmerzahl erreicht wird, haben alle Religionsgemeinschaften das Recht zur Erteilung von Religionsunterricht an staatlichen Schulen. Die Mindestteilnehmerzahl wird von den jeweiligen Landesgesetzgebern bestimmt und wird meist nur von den großen christlichen Konfessionen erfüllt.
Wer erteilt Religionsunterricht?
Grundsätzlich entscheiden die Religionsgemeinschaften, wer für sie Religionsunterricht an einer staatlichen Schule erteilen darf. Das dürfte im Prinzip auch ein Bischof oder ein Imam sein, in der Regel sind es aber Lehrerinnen und Lehrer mit Staatsexamen im Fach Religion und Zulassung der jeweiligen Religionsgemeinschaft.
Einfluss auf die Unterrichtsgestaltung
Über die Unterrichtsinhalte entscheiden die Religionsgemeinschaften generell in völliger Autonomie. Der Staat hat lediglich das Recht und die Pflicht, die Unterrichtsinhalte auf die Vereinbarkeit mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes zu überprüfen und kann die Vermittlung verfassungsfeindlicher Unterrichtsinhalte verbieten. Es wäre daher beispielsweise unzulässig, wenn im Religionsunterricht die Gleichberechtigung von Mann und Frau (Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 GG) bestritten würde.
Laizistischer Staat Religionsunterricht in Frankreich
Frankreich ist ein laizistischer Staat, in dem Staat und Kirche seit der Französischen Revolution (1789) strikt getrennt sind. Daher gibt es weder eine Verflechtung noch eine Kooperation zwischen Staat und den Religionsgemeinschaften. Religion ist grundsätzlich eine Privatsache, weshalb es in Frankreich keinen konfessionellen Religionsunterricht an staatlichen Schulen gibt. Eine Ausnahme bilden die drei ostfranzösischen Départements Moselle, Bas-Rhin und Haut-Rhin, dort wird an staatlichen Schulen ein konfessioneller Religionsunterricht wie in Deutschland angeboten.
Religionsgemeinschaften dürfen als privatrechtliche Vereine Schulen und Bildungseinrichtungen gründen, an denen konfessioneller (in den meisten Fällen katholischer) Religionsunterricht erteilt werden darf.
In ganz Frankreich gibt es zudem seit 2009 einen bekenntnisfreien Unterricht in Religionskunde („Enseignement du fait religieux“).